Nun ist es schon ein Jahr her, daß Oma Erika Rohde starb. 100 ist sie geworden! Erinnerungen kommen auf .. Das windige Wetter mitten im Juli, die vielen Freunde, die uns nach der Predigt in der kleinen Wenningstedter Kapelle, am Dorfteich vorbei, hin zum Grab folgten und mit uns weinten, während die Möwen im Wind kreischten…
Erika war eine starke und angesehene Persönlichkeit, und man merkte, daß ein Stückchen Wenningstedter Geschichte nun gegangen ist.
1911 In Hamburg geboren als Nesthäkchen mit 4 Geschwistern, wuchs sie trotz des ersten Weltkrieges, fröhlich und frei von größeren Sorgen auf, machte eine kaufmännische Ausbildung und arbeitete im Hotel Atlantik als Schmuckverkäuferin.
Sie war gertenschlank und sehr begehrt, nahm sogar 1936 bei der Olympiade in Berlin teil. Als Keulenschwingerin. Sie erzählte gerne von den vielen Heiratsanträgen, und davon, daß sie im Nachhiniein wünschte, manchmal etwas freundlicher mit den Gefühlen der Herren umgegangen zu sein..
Erika lernte viele Offiziere und gut betuchte Atlantikgäste kennen, hatte sogar einen längjährigen Verehrer, der sie mit nach Amerika nehmen wollte, um dort mit ihr zu leben. So recht konnte sie sich aber nicht entscheiden, obwohl er ein aufregender Typ war. Sie hing wohl sehr an ihrer hamburger Familie, erzählte gerne, daß ihre Geschwister alles für sie taten, und wie großherzig ihr Vater war.
Sie lernte Karl Rohde kennen, der im selben Turnverein war. Ein freundlicher, eher normaler Mann, mit dem sie es liebte, Zeit zu verbringen. Karls Familie kam aus Bremen. Seine Eltern versuchten in den frühen dreißiger Jahren ihr Glück auf Sylt und kauften den Friesenhof. Karl und Erika verbrachten dort viel Zeit.
Leider kam der zweite Weltkrieg. Karl mußte weg. Er war an allen Fronten und in Kriegsgefangenschaft in Russland. Während der 8 Jahre, die er im Krieg war, konnte er immer nur kurz nach Hause. Die beiden heirateten und bekamen Sohn Niels.
Als der Krieg endlich vorbei war, gingen die beiden ganz nach Sylt. Karls Vater hatte Anna, seine Mutter, verlassen und der Insel den Rücken gekehrt. Anna war eine harte, kühle Person und wollte eigentlich lieber alleine Geld verdienen. Karl und Erika aber blieben. Karl baute als gelernter Konditor ein erfolgreiches Café auf, der Friesenhof wurde ein wichtiger Treffpunkt für politische Zusammenkünfte und Feste.
Erika schuftete immer von morgens bis abends mit. Die beiden hatten eine gute, aber sehr arbeitsreiche Zeit.
In den siebziger Jahren hatte Karl genug vom Inselleben. Er trennte sich von Erika und übergab seinem Sohn die Geschäfte. Er bekam das Haus von Erikas Eltern in Buchholz bei Hamburg im Tausch gegen ein Haus auf dem Friesenhofgrundstück. Der „Frischen Brise“, wo Erika die nächsten 35 Jahre lebte.
Erika, mittlerweile 63, war natürlich tief enttäuscht. Tough aber, wie sie war, und inspiriert von den weiten Seereisen ihres Sohnes, machte sich auf, die Welt zu entdecken. Sie fuhr monatelang auf Frachtern richtung Südafrika, mit Bananendampfern nach Mittelamerika, reiste mit der transsibierischen Eisenbahn oder machte Reisen im „rollenden Hotel“, durch den Kaukasus, Kanada, Asien usw (insg. 17 mal Rotel). Unzählige Fotoalben und Mitbringsel aus fernen Ländern waren in Ihrem Haus zu finden. Sie genoß diese Jahre, frei wie ein Vogel und immer wieder zurück auf die kleine Insel Sylt.
Als sie irgendwann zu alt war zum reisen, nahm sie sich regelmäßig ihre sorgsam geklebten Alben vor und erzählte von den schönen Zeiten. Wie schön für sie, daß sie die Möglichkeit hatte, all die Erfahrungen und Eindrücke zu sammeln. Sie war nie vergesslich oder dement. Bis zum Schluß errinnerte sie sich an ihr Leben und brachte sich damit immer wieder selbst in eine gute Stimmung.
Gesundheitsrezept Nummer 1 war sicherlich die viele Bewegung. Bloß nicht einrosten, war die Devise, kleine Übungen schon morgens im Bett, und natürlich das frühmorgendliche Nordseebad! Jeden Morgen von Ostern bis Oktober lief sie mit ihren Freundinnen morgens zum Meer und ging nackig baden. Das zog sie durch bis sie Anfang 90 war und sich dann beschwerte, daß die anderen (die jünger waren), sich in der Brandung nicht mehr halten können…
Außerdem hat sie Tagebuch geschrieben. Über ihre Gedanken und ihre Familie, über Sylt, über’s Wetter. Damit fing sie an, als sie hier nach Sylt kam. Sogar als sie uns erzählte, ihr kämen Drähte aus dem Kopf, und sie habe Kontakt zu Außerirdischen. Einige Monate lang war sie nicht ganz richtig im Kopf, was, wie wir im Nachhinein rausfanden, an Medikamenten lag, die nicht zusammenpassten. Da war sie schon 97 und wir dachten, nun sei es vorbei mit ihr. Als die Medikamente dann aber weggelassen wurden, weil sie wegen eines Sturzes ein paar Tage im Krankenhaus lag, war sie plötzlich wieder ganz klar! Was für eine Erleichterung. Sie entschuldigte sich für ihr Verhalten während es Ausnahmezustandes, weil sie wohl zu dem Pflegepersonal etwas „pampig“ war.
Sie hatte eine schöne Zeit hier auf Erden. Aber das Leben ist endlich, so ist das nunmal..
“Nicht weinen, daß es vorüber ist, sondern lächeln, daß es gewesen ist.”, steht in einem ihrer Tagebücher.