Der
Frisör Hein.
Der
Frisör im Dorf hieß Hein Vollertsen. Er war ein Original und wurde
über 90 Jahre alt. Das Geschäft hatte er in dem ehemaligen „Haus
Seidel“ in der Hauptstraße (wo heute unser Badearzt Dr. Cegla
praktiziert) untergebracht. Nach dem Kriege baute er sich ein Haus
mit Laden, auch in der Hauptstraße, neben dem „Friesenhof“. Da
gab es 2 Eingänge. Einen für „Damen“ rechts und einen für
„Herren“, links. Ein Kachelofen stand in der Mitte und heizte im
Winter beide Abteilungen. Hein schnitt bei den Herren den kurzen
Einheitsschnitt. Fasson, Koteletten und ähnliche Verschönerungen
verabreichte man erst nach seiner Zeit Es gab vor dem Kriege einige
Persönlichkeiten seines Schlages im Ort: selbstbewußt, frech und
furchtlos. Mein Großvater Carl Rohde besaß eines der ersten
Automobile und mit dem zogen sie über die Insel. An der Tür des
Salons hing derweil ein Schild: „Komme gleich wieder!“ Das
dauerte aber oft länger, denn sie fuhren kreuz und quer über die
Insel z. B. auch zu Netty Nann in’s Kampener Kurhaus. Man trank
reichlich Grog und Teepunsch und vor der Polizei mußte man damals
noch keine Angst haben. Einmal endete die Fahrt vor dem Munkmarscher
Fährhaus im Graben. Im Fährhaus gab es damals Telefon und von dort
rief Hein Vollertsen meine Großmutter (Tel 216) an: „Anna!“ und
dabei näselte er listig ihren Namen, “Anna, der Wagen ist total
kaputt, nur die Klinke ist noch heil!“ Die Ehefrauen hatten oft
Anlaß zum Groll, mußten sie doch zu Hause die Arbeit machen, währen
ihre Gatten auf „Tour“ waren.
Einmal
trat er zum Fest als Weihnachtsmann auf. Sein Törn begann in
Braderup. Überall gab es einen „Lütten“ aus der Buddel. Als er
bei uns im „Friesenhof“ ankam, war Schluß mit ihm: der Sack fiel
zu Boden und Hein in einen Sessel. Meine Mutter hatte noch nie so
einen traurigen Weihnachtsmann gesehen.
Sein
größtes Gaunerstück aber war „die Verlobung auf dem Lande“. Es
hing das Schild an der Tür “Bin gleich wieder da!“ Aber er
blieb 3 Tage weg. Er war mit Freunden, wahrscheinlich Kalli Voss und
Schwager Max Ratzlaff auf das Festland gefahren und hatte mit einem
Bauernmädel irgendwo groß Verlobung gefeiert und in Saus und Braus
gelebt. Zu Hause ahnte seine Frau davon nichts. Es gab noch ein böses
Nachspiel.
Den 90.
Geburtstag feierte er im „Friesenhof“. Alle kamen, der Sekt floß
in Strömen und Hein war recht munter. Spätabends, die Gäste waren
schon weg, saßen wir noch mit ihm zusammen am Stammtisch. Hans
Carstensen fragte ihn: „Hein, wie ist das denn mit Dir auf dem
sexuellen Gebiet?“. Da drehte sich Hein ganz langsam zu Helga Kiose
– das war Hans Carstensens Frau – um und fragte „Hest Intresse?“
Nachts um 1 Uhr sollte nun Schluß sein, aber Hein schlug sich immer
mit der Faust auf die Brust und brüllte: “Ick!“ Er wollte nicht
nach Hause. So bugsierten wir, Helga Kiose, Hans Carstensen ich ihn
mit viel Mühe zu seiner klitzekleinen Wohnung hinter dem Geschäft.
Dort bekam er einen Wutanfall und wollte zurück in den Gasthof. Wir
konnten ihn nicht bändigen und riefen unseren Arzt Dr. Ahlborn,
welcher dem Neunzigjährigen eine Beruhigungsspritze verabreichte. So
ist er dann am Ende noch gut in’s Bett gekommen.
In seinen letzten Jahren saß Hein immer in seinem Strandkorb hinter
dem Laden, den er inzwischen an seinen langjährigen Angestellten
Günther Lill abgegeben hatte. Ein Strohhut schützte ihn vor der
Sonne, er war freundlich und manch einer gesellte sich zu ihm, um ein
wenig von früher zu klönen.